Genitalverstümmelung: Erfolgreicher Asylfolgeantrag

Eine der Bedrohungssituationen, bei der auch das BAMF jedenfalls in jüngerer Zeit durchaus zu einer mehr oder minder wohlwollenden Vergabe von Schutzstatus  neigt, ist die Bedrohung durch „FGM” („Female Genital Mutilation“), also die Verstümmelung des äußerlich sichtbaren Teils der weiblichen Genitalien. Was aber tun, wenn die Antragstellerin ein Kleinkind ist, als solches von ihrer Mutter gesetzlich vertreten wird und diese es im Asylverfahren versäumt, diesen Fluchtgrund geltend zu machen, so dass der Asylantrag abgelehnt wird?

Die Mandantin war am 27.01.2012 in Deutschland geboren worden. Ihre Mutter kam selbst kurz zuvor als nigerianische Staatsangehörige nach Deutschland und beantragte hier Anerkennung als Asylberechtigte.

In solchen Fällen wird nach § 14a AsylVfG automatisch von Amts wegen auch für das neugeborene Kind ein Asylverfahren eingeleitet. Die Mutter wurde in der Erstaufnahmeeinrichtung in Schöppingen offenbar schlecht beraten und erkläre schriftlich gegenüber dem BAMF den Verzicht auf die Durchführung eines Asylverfahrens. Folgerichtig stellte das BAMF mit Bescheid vom 21.05.2012 fest, dass das Asylverfahren eingestellt sei und keine Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorlägen. Zugleich wurde die Mandantin aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen, anderenfalls sie nach Nigeria abgeschoben werde.

Nun muss ich sagen, dass dieser Fall für mich auch persönlich eine große Bedeutung hat. Ich war 2012 noch recht neu im Flüchtlingsrecht. In diesem Fall spielten noch verschiedene andere Themen eine Rolle, die aber für diesen Artikel keine Rolle spielen, und auf deren Darstelllung ich an dieser Stelle daher auch verzichte. Fest steht aber jedenfalls, dass mir bewusst war, dass ich es mit einem außergewöhnlich interessanten Fall zu tun hatte, und dementsprechend wichtig war es mir, Mutter und Tochter zu helfen. Daher griff ich flugs zum Telefonhörer und rief eine Kollegin an,  die mich ihrerseits weiter vermittelte an die Frauenberatungsstelle Düsseldorf, für deren Mitarbeit (nicht nur) an diesem Fall ich mich nur herzlich bedanken kann.

Die Mitarbeiterinnen der Fraenberatungsstelle vermittelten einen Untersuchungstermin der Mutter bei einem Gynäkologen im Septermber 2012. Ergebnis dieser Untersuchung war ein fachärztliches Attest, aus dem sich das Vorliegen einer „FGM Typ II“ ergab.

Stellt sich nunmehr die Frage, was ich mit diesem Attest anfangen konnte? Die Genitalien der Mutter sind bereits verstümmelt, mithin bestand also auch keine Gefahr einer FGM mehr für sie, so dass das Attest für sie selbst keinen großen (unmittelbaren) Nutzen hatte. Die Gefahr einer Genitalverstümmelung im Falle einer Abschiebung nach Nigeria drohte hauptsächlich meiner kleinen Mandantin, aber deren Verfahren war ja bereits seit Monaten beendet.

Für Fälle wie diesen hat der Gesetzgeber den Folgeantrag nach § 71 AsylVfG vorgesehen. Da Folgeanträge gemäß § 71 Abs. 2 AsylVfG grundsätzlich persönlich zu stellen sind, bereitete ich ein an das BAMF gerichtetes Schreiben vor und übersandte es der Mutter, verbunden mit der Bitte zur zuständigen Außenstelle des BAMG zu gehen und dort den Antrag zu stellen, dem ich freilich eine Kopie des fachärztlichen Attests beifügte. Dies geschah dann auch im Dezember 2012.

Über den Folgeantrag entschied das BAMF mit Bescheid vom 13.10.2014, indem es meiner, nunmehr freilich nicht mehr ganz so kleinen, Mandantin die Flüchtlingseigenschaft zuerkannte und die Abschiebungsandrohung aus dem ursprünglichen Bescheid aufhob. Für die Mandantin bedeutet das, dass sie Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus § 25 Abs. 2 S. 1 1. Alt. hat. Zwar wurde zugleich der Antrag auf Anerkennung meiner Mandantin als Asylberechtigte abgelehnt. Damit kann ich allerdings gut leben, und bin mir sicher, dass meine Mandantin und ihre Mutter das auch können. Denn zwischenzeitlich sind die Rechtsfolgen der Anerkennung als Asylberechtigte und der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft soweit angenähert worden, dass es da kaum noch relevante Unterschiede gibt.

Die Begründung des Bescheides fällt eingermaßen knapp aus, was allerdings bei positiven Bescheiden des BAMF auch nicht ungewöhnlich ist, da das BAMF in diesen Fällen ja auch nicht mit einer verwaltungsgerichtlichen Überprüfung des Bescheides rechnen muss.

Zunächst wird die Zulässigkeit des Folgeantrags bejaht. § 71 AsylVfG verweist auf § 51 VwVfG. Nur im Falle des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ist ein weiteres Asylverfahren durchzuführen. Dies hat das BAMF bejaht. Dabei stellt das BAMF darauf ab, dass sich die Sachlage seit dem ersten Verfahren zugunsten der Antragstellerin geändert habe, so dass der Wiederaufgreifensgrund des § 51 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG vorliege. Ohne mich beschweren zu wollen: Dies erstaunt mich ein wenig. Zwar finde ich den Bescheid – wie könnte es auch anders sein – im Ergebnis richtig. Aber der Mandantin drohte die Genitalverstümmelung ja auch im ursprünglich Verfahren bereits. Neu ist lediglich, dass diese Bedrohung jetzt durch die Vorlage des fachärztlichen Attests bewiesen werden konnte. Naheliegender erschiene es mir daher, auf das Vorliegen neuer Beweismittel abzustellen, so dass der Wiederaufgreifensgrund des § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG vorliegt.

Die Begründung für die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes beschränkt sich nahezu auf die lapidare Feststellung, „dass sich die Antragstellerin außerhalb ihres Herkunftslandes aufhält und deshalb Flüchtlingsschutz gem. § 3 Abs. 1 AsylVfG benötigt”. Doch ist es immerhin erfreulich, zu segen, dass es mittlerweile offenbar unstrittig ist, dass die Gefahr einer Genitalverstümmelung als geschlechtsspezifische Verfolgung einen Anspruch auf die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention vermittelt. Denn früher wurde durchaus auch die Auffassung vertreten, dass in derartigen Fällen lediglich die Zuerkennung subsidiären Schutzes in Betracht komme, was zwar in der Regel ebenfalls zu der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis führt, die dann aber für einen kürzeren Zeitraum befristet wird und verschiedene Einschränkungen mit sich bringt, etwa, was die Wahl des Wohnortes oder auch den Zugang zum Arbeitsmarkt betrifft. Wobei letzterer aufgrund volkswirtschaftlicher Erwägungen ohnehin immer weiter vereinfacht wird, so dass die entsprechenden Einschränkungen bereits erheblich an Bedeutung verloren haben und aller Voraussicht nach auch weiterhin an Bedeutung verlieren werden. Das ist jedoch ein anderes Thema.

Abschließend sei jedoch darauf hingewiesen, dass nicht alle Fälle so verlaufen, wie dieser. In einem recht ähnlich gelagerten Parallelfall hat das Bundesamt zwei nigerianischen Mädchen die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zunächst verweigert, obwohl ich auch diesem Falle ein entsprechendes Attest desselben Facharztes vorgelegt habe, aus dem sich eine FGM der Mutter ergab. In diesem Falle hat das BAMF seine Entscheidung jedoch im Laufe des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens geändert und den Klägerinnen die Flüchtlingseigenschaft doch noch zuerkannt, nachdem das VG per richterlicher Verfügung Zweifel an der Rechtmäßigkeit des ablehnenden Bescheides durchblicken ließ.

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