VG Düsseldorf: Flüchtlingsanerkennung für schwulen Marokkaner

Mit diesem Urteil hat das VG Düsseldorf die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, einem jungen schwulen Mann aus Marokko die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 AsylG zuzuerkennen. In dem Land, welches nach dem Willen der Großen Koalition möglichst rasch zum „sicheren Herkunftsstaat“ erklärt werden soll, drohe Homosexuellen nämlich eine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. In der Sache schließt sich das Gericht weitgehend dem Urteil des VG Gelsenkirchen vom 24.11.2015 – 7a K 2425/15.A – an. So heißt es:

Im Hinblick auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist davon auszugehen, dass Homosexuelle eine bestimmte soziale Gruppe im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b Abs. 1 Nr. 4 lit. a) und b) AsylG darstellen, soweit in dem Herkunftsland strafrechtliche Bestimmungen bestehen, die spezifisch Homosexualität betreffen. Dabei stellt der bloße Umstand, dass homosexuelle Handlungen unter Strafe gestellt sind, als solcher noch keine Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3 AsylG dar. Dagegen ist eine Freiheitsstrafe, mit der homosexuelle Handlungen bedroht werden und die im Herkunftsland tatsächlich verhängt wird, als unverhältnismäßige und diskriminierende Bestrafung zu betrachten und stellt damit eine relevante Verfolgungshandlung dar. Von dem Schutzsuchenden kann dabei nicht erwartet werden, dass er seine Homosexualität in dem Herkunftsland geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung übt, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden […]

Nach dieser Maßgabe ist davon auszugehen, dass dem Kläger aufgrund seiner Homosexualität in Marokko eine Verfolgung droht.

In Marokko bestehen strafrechtliche Vorschriften, die spezifisch Homosexualität unter Strafe stellen und in der Praxis angewandt werden. Nach Art. 489 des marokkanischen Strafgesetzbuchs wird jede Person, die mit einem Individuum desselben Geschlechts „unzüchtige oder widernatürliche“ Handlungen begeht […] [mit] einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu drei Jahren und einer Geldstrafe bestraft. Nach den vorliegenden aktuellen und insoweit übereinstimmenden Erkenntnisquellen wird der Straftatbestand in der Praxis angewandt. Nach der Auskunft von Amnesty International vom 1. April 2015 ist es in den Jahren 2014 und 2013 mehrfach zu Strafverfahren wegen homosexuellen Handlungen gekommen, bei denen eine Freiheitsstrafe verhängt wurde. Dies stimmt überein mit der Stellungnahme der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 6. November 2014. Danach wurden unter anderem in den Jahren 2014 und 2013 Strafverfahren wegen homosexueller[r] Handlungen geführt und Freiheitsstrafen verhängt. Die Auskunft bezieht sich weiter auf Angaben des marokkanischen Justizministeriums, wonach es in 2011 zu 81 Gerichtverfahren aufgrund von homosexuellen Handlungen kam. Nach der Auskunft des Auswärtigen Amts vom 11. September 2014 liegen jedenfalls vereinzelte Meldungen zu strafrechtlichen Verurteilungen wegen homosexueller Aktivitäten vor (zuletzt im Juli 2014). In den Jahren 2007 und 2014 kam es danach zu Verhaftungen wegen homosexueller Handlungen […]

Entsprechend ist davon auszugehen, dass Personen, die ihre Homosexualität in Marokko offen ausleben, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung und Bestrafung ausgesetzt sind. Ob diese Gefahr dadurch verringert werden könnte, dass die Homosexualität nicht offen ausgelebt wird, ist hingegen unbeachtlich. Denn nach der genannten Rechtsprechung kann gerade nicht verlangt werden, dass die sexuelle Identität geheim gehalten oder besondere Zurückhaltung beim Ausleben der sexuellen Ausrichtung geübt wird […]

Diese Ausführungen des Gerichts werfen letztlich noch die Frage auf, wie es mit dem Grundgesetz vereinbar sein soll, Marokko zum „sicheren Herkunftsstaat“ zu erklären. Denn gemäß Art. 16a Abs. 3 S. 1 GG darf nur ein Staat zum „sicheren Herkunftsstaat“ erklärt werden, für den „auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet“. Wie allerdings offenbar sowohl das VG Gelsenkirchen wie auch das VG Düsseldorf meinen, findet in Marokko eben doch eine Verfolgung statt, und zwar zumindest gegen Homosexuelle.

Update, 03.11.2016: Die Entscheidung ist dem 02.11.2016 rechtskräftig. Das BAMF hat die Zulassung der Berufung nicht beantragt.

VG Düsseldorf, Urteil vom 26.09.2016, 23 K 4809/16.A

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