VG Düsseldorf: Keine Dublin-Überstellungen nach Griechenland

Mit diesem Urteil hat das Verwaltungsgericht Düsseldorf entschieden, dass ein junger Mann aufgrund der Zustände in Griechenland nicht im Dublin-Verfahren dorthin überstellt werden darf. Dass es sich um einen jungen Mann handelt, ist dabei durchaus bemerkenswert, denn junge Männer werden tendenziell als diejenige Gruppe geflüchteter Menschen angesehen, denen man die meisten Widrigkeiten zumuten kann. Anders herum: Wenn die Zustände in Griechenland schon jungen Männern nicht mehr zugemutet werden können, können sie allen anderen erst recht nicht zugemutet werden.

Der Einzelrichter bezieht sich zunächst auf ein anderes Urteil von ihm aus dem Oktober 2020, welches allerdings eine etwas anders gelagerte Fallkonstellation betrifft: Dort hatte er entschieden, dass ein Mann, dem bereits in Griechenland internationaler Schutz (das heißt, subsidiärer Schutz oder eine Flüchtlingsanerkennung) zuerkannt worden ist, nicht nach Griechenland abgeschoben werden darf. Im hiesigen Verfahren hingegen war der Kläger vor Abschluss des Asylverfahrens in Griechenland bereits nach Deutschland weitergereist; mithin ist ihm in Griechenland bisher kein internationaler Schutz zuerkannt worden. Bei diesem Fall handelt sich daher um ein Dublin-Verfahren, während es sich in jenem Fall um einen sogenannten Anerkanntenfall oder Drittstaatenfall handelt, der gerade nicht den Bestimmungen der Dublin III-VO unterfällt.

Für die Anerkanntenfälle hat sich inzwischen auch das Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW der Auffassung dieses Einzelrichters angeschlossen (Urteile vom 26.01.2021, 11 A 1564/20.A und 11 A 2982/20.A). Allerdings berichtete MiGAZIN am 08.02.2021, dass die Bundesrepublik Deutschland diese Entscheidung anzufechten beabsichtige.

Fraglich ist nun, ob sich diese Rechtsprechung auch auf die Dublin-Verfahren übertragen lässt, also auf Personen, die ihr Asylverfahren noch nicht (erfolgreich) abgeschlossen und also erst noch in Griechenland ein Asylverfahren zu durchlaufen haben. Diese Frage ist längst nicht so trivial, wie sie auf den ersten Blick möglicherweise erscheint. Denn dass etwa anerkannten Flüchtlingen in Griechenland Obdachlosigkeit droht, bedeutet nicht zwangsläufig, dass das auch für Menschen gilt, die noch im Asylverfahren stecken. Denn für diese Gruppe mag etwa ein Anspruch auf Unterbringung in einer Unterkunft bestehen, für anerkannte Flüchtlinge aber nicht. Klarstellungshalber ist auch zu sagen, dass die katastrophale Situation in den Lagern auf den Inseln für diese Frage keine große Rolle spielt, denn Menschen, die im Dublin-Verfahren nach Griechenland rücküberstellt werden, werden in aller Regel nicht in diesen Lagern untergebracht, sondern in Einrichtungen auf dem Festland.

Zwar hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit Urteil vom 19.03.2019, C-163/17, bereits entschieden, dass im Rahmen eines Dublin-Verfahrens bei der Prüfung der Zustände, die eine schutzsuchende Person im Zielstaat der Abschiebung erwarten, auch berücksichtigt werden muss, welche Behandlung diese Person im Falle einer Anerkennung zu erwarten hätte. Auch daraus kann jedoch nicht ohne Weiteres gefolgert werden, dass für Länder, hinsichtlich derer Bescheide in Anerkanntenfällen aufgehoben werden, auch Dublin-Bescheide aufzuheben wären. Ein denkbarer Einwand wäre beispielsweise, dass Menschen, die erst noch im Asylverfahren sind, es leichter haben könnten, während der Dauer des Asylverfahrens, solange sie noch in einer Unterkunft wohnen dürfen, ihren Umzug in eine andere Bleibe zu organisieren.

Dieser Sichtweise vermag sich das Gericht jedoch nicht anzuschließen, und führt aus:

An dieser Rechtsprechung, die durch neuere Erkenntnisse nicht in Frage gestellt wird, hält das Gericht nach erneuter Überprüfung fest. Sie ist in gleicher Weise für Dublin-Rückkehrer maßgeblich, da, wie ausgeführt, auch bei diesem Personenkreis die Zeit nach einer möglichen Zuerkennung internationalen Schutzes in den Blick zu nehmen ist. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass sich die Situation von Dublin-Rückkehrern von derjenigen unterscheidet, der sich zurückgeführte Schutzberechtigte ausgesetzt sehen. So werden Dublin-Rückkehrer nach ihrer Ankunft staatlicherseits nicht sich selbst überlassen, sondern wieder in das griechische Asylsystem übernommen. Dies ändert allerdings nichts daran, dass sie nach einer Zuerkennung internationalen Schutzes mit den gleichen Schwierigkeiten, den Lebensunterhalt zu sichern, konfrontiert sind wie aus Deutschland zurückgeführte Schutzberechtigte. […]

Für alle Schutzberechtigte gilt, dass sie in der Regel gezwungen sind, ihre Asylunterkunft innerhalb eines Übergangszeitraums von 30 Tagen nach Schutzgewährung zu verlassen und dass sie sich im Anschuss erheblichen Herausforderungen und Schwierigkeiten, insbesondere betreffend die Sicherstellung des Lebensunterhalts einschließlich der Unterkunft, ausgesetzt sehen. Die Annahme, dass Dublin-Rückkehrer bis zum Abschluss ihres Asylverfahrens in der Lage seien, die bestehenden bürokratischen und praktischen Hürden zu überwinden, um Zugang zum Arbeits- und privaten Wohnungsmarkt in Griechenland zu haben, […] teilt das erkennende Gericht nicht. Während der Dauer ihres Asylverfahrens verfügen Dublin-Rückkehrer naturgemäß über kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht; vielmehr muss mit der Ablehnung ihres Asylantrags und der Abschiebung gerechnet werden. Die Chance, dass Vermieter auf dem hart umkämpften griechischen Wohnungsmarkt bereit sind, einer Person mit einer derart prekären Zukunftsperspektive und fehlenden oder jedenfalls sehr beschränkten finanziellen Mitteln eine Unterkunft zu überlassen (oder zumindest eine entsprechende Zusage für den künftigen Fall der Zuerkennung eines Schutzstatus zu erteilen), dürfte eher eine theoretische sein. Dies gilt umso mehr, als das private Anmieten von Wohnraum durch das traditionell bevorzugte Vermieten an Familienmitglieder, hilfsweise an Bekannte oder Studenten sowie gelegentlich durch Vorurteile zusätzlich erschwert wird.

Zur Überzeugung des Gerichts wird es dem Kläger auch nicht auf sonstige Weise möglich sein, während der Zeit der Prüfung seines Asylantrags die Voraussetzungen dafür zu schaffen, nach einer Anerkennung ein menschenwürdiges Leben zu führen. Zwar können Dublin-Rückkehrer das laufende Asylverfahren nutzen, um im Hinblick auf Unterkunfts- und Erwerbsmöglichkeiten für die Zeit nach Zuerkennung eines Schutzstatus bereits Kontakte zu knüpfen und Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen. […]

Die Erfolgsaussichten derartiger Bemühungen hält das Gericht aber bei realistischer Einschätzung für gering. Gerade weil sie während des laufenden Asylverfahrens, also in einer Zeit stattfinden, in der es an einer Aufenthaltsperspektive in Griechenland fehlt, da die nahe liegende Möglichkeit der Ablehnung des Asylantrags im Raum steht, beruhen sie auf einer ungesicherten Grundlage. Sie zielen auf eine Situation, von der niemand weiß, ob sie überhaupt eintreten wird. Erst im „Ernstfall“, das heißt nach einer Zuerkennung internationalen Schutzes, stellt sich heraus, wie tragfähig und hilfreich vorab geknüpfte Kontakte und Hilfsangebote wirklich sind. Dass diese Kontakte etc. dann dem schutzberechtigten Dublin-Rückkehrer tatsächlich bei der Wohnungssuche auf dem freien Markt weiterhelfen, ist nicht mehr als eine vage Hoffnung. Erst recht erscheint es angesichts der insoweit bestehenden Schwierigkeiten unwahrscheinlich, dass die Möglichkeit, das Zeitfenster des Asylverfahrens zu nutzen, um vorab Bemühungen zur künftigen Sicherung des Lebensunterhalts zu entfalten, sich in einem solchen Ausmaß als nutzbringend erweist, dass sich allein hieraus ein maßgeblicher Unterschied zu der Situation ergibt, wie sie für aus Deutschland zurückgeführte Schutzberechtigte besteht, also zumindest für den Personenkreis der Dublin-Rückkehrer das konkrete Risiko der Obdachlosigkeit vermieden werden kann. […]

Das Gericht lässt sich schließlich auch nicht dadurch beirren, dass die griechischen Behörden in diesem Falle eine EU-rechtskonforme Behandlung des Klägers während des Asylverfahrens zugesichert haben:

Die individuelle Zusicherung, die Griechenland vorliegend mit der Zuständigkeitserklärung vom 11. Juli 2019 abgegeben hat, bezieht sich nicht auf die Situation des Klägers nach einer etwaigen Zuerkennung internationalen Schutzes, sondern ausschließlich auf seine EU-rechtskonforme Behandlung während des Asylverfahrens.

VG Düsseldorf, Urteile vom 11.02.2021, 13 K 5668/19.A, und vom 09.10.2020, 13 K 5731/19.A

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