Zur Situation der Geflüchteten aus der Ukraine, die keine ukrainischen Staatsangehörigen sind

Dass die EU angesichts des Überfalls Russlands auf die Ukraine erstmals die sogenannten „Massenszustrom-Richtlinie“ aktiviert hat, dürfte sich zumindest bei Menschen, die mit Geflüchteten arbeiten, nunmehr herumgesprochen haben. Damit bekommen ukrainische Staatsangehörige ziemlich einfach eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 24 AufenthG. Sie müssen zwar einen entsprechenden Antrag stellen, aber das ist kein großes Ding, verglichen etwa mit den Asylverfahren, die etwa syrische Geflüchteteregelmäßig zu durchlaufen haben. An den Anfragen, die ich in meinem beruflichen Alltag erhalte, merke ich jedoch, dass eine andere Personengruppe den Berater*innen wesentlich größere Kopfschmerzen bereitet: Menschen, die zwar in der Ukraine gelebt haben, jedoch selbst keine ukrainischen Staatsangehörigen sind. Ein typischen Beispiel hierfür sind beispielsweise Menschen, die als ausländische Studierende in der Ukrainie studiert haben. Auch wurde ich schon angefragt, ob ich zu diesem Thema Schulungen anbieten kann. Damit tue ich mich leider zum jetzigen Zeitpunkt schwer, denn vieles ist einfach noch sehr unklar, und deswegen wüsste ich auch nicht so recht, was ich in einer Schulung sagen könnte, außer halt, dass ich es auch nicht so richtig weiß, was für die potenziellen Teilnehmer*innen einer solchen Schulung aber wohl nicht sehr befriedigend sein dürfte. Aber immerhin kann ich ja das, was wir wissen, und das, was wir nicht wissen, schon mal in einem kleinen Blogpost zusammenfassen.

Die „UkraineAufenthÜV

Der Bund hat eine „Verordnung zur vorübergehenden Befreiung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels von anlässlich des Krieges in der Ukraine eingereisten Personen (Ukraine-Aufenthalts-ÜbergangsverordnungUkraineAufenthÜV)“ erlassen. Deren wichtigste Aussage ist (§ 2 Abs. 1 UkraineAufenthÜV):

Ausländer, die sich am 24. Februar 2022 in der Ukraine aufgehalten haben und die bis zum Außerkrafttreten dieser Verordnung in das Bundesgebiet eingereist sind, ohne den für einen langfristigen Aufenthalt im Bundesgebiet erforderlichen Aufenthaltstitel zu besitzen, sind vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit.

Die Vorschrift gilt mithin für alle Ausländer*innen, die sich am 24.02.2022, dem Datum „des Überfalls der Russischen Föderation“ (vgl. § 1 UkraineAufenthÜV), dort aufgehalten haben. Sie ist gerade nicht auf ukrainische Staatsangehörige beschränkt. Auch die in Rede stehenden Personen können sich also erst einmal auf diese Vorschrift berufen. Das bedeutet allerdings nicht, dass sie hieraus selbst einen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels herleiten können, es bedeutet lediglich, dass sie sich erst einmal hier aufhalten dürfen, bis zum Außerkrafttreten der Verordnung.

Die Verordnung wurde zunächst auf drei Monate befristet erlassen, so dass die Regelungen bis zum 23.05.2022 gelten sollten (vgl. § 4 UkraineAufenthÜV), mittlerweile ist aber wohl klar, dass sie noch einmal um drei Monate verlängert wird, so dass die Betroffenen wohl noch bis August ihre Ruhe haben dürften. Wie es danach weitergehen wird, ob also die Verordnung ein weiteres Mal verlängert oder durch eine andere, vergleichbare Regelung ersetzt wird, wissen wir aber leider noch nicht. Zum jetzigen Zeitpunkt müssen wir also davon ausgehen, dass die Regelung im August auslaufen wird, und wir uns also für die Betroffenen bis dahin etwas anderes überlegen müssen.

Asylanträge wollen wohlüberlegt sein!

Das wissen freilich auch die Ausländerbehörden (ABHen), und fangen schon an, Druck auf die Betroffenen auszuüben. Mir liegen bereits entsprechende Schreiben vor, in denen Betroffenen nahegelegt wird, ihre freiwillige Ausreise vorzubereiten, so sie keine Asylanträge stellen wollen. Ich gehe davon aus, dass wir schon sehr bald vermehrt erleben werden, dass ABHen beginnen werden, Betroffene zu Asylanträgen zu drängen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wird die Asylanträge allerdings nicht in Bezug auf die Ukraine prüfen, sondern in Bezug auf das jeweilige Herkunftsland. Wenn also eine Studentin aus Ghana einen Asylantrag stellt, wird das BAMF nicht prüfen, ob sie in die Ukraie zurückkehren kann, sondern ob eine Rückkehr nach Ghana zumutbar ist. Ob sie dort ihr Studium würde fortführen können, wird für das BAMF dabei kaum eine Rolle spielen. Im Asylverfahren geht es um andere Fragen wie drohende politische Verfolgung etc.

Das wird bei den hier betroffenen Personen vermutlich selten gut ausgehen. Die meisten von ihnen werden ja aus eher soliden Verhältnissen kommen; immerhin hat es gereicht, dass ihnen jemand ein Studium im Ausland finanzieren kann. Gerade das Beispiel Ghana zeigt, wie gefährlich ein Asylantrag sein kann: Ghana gilt als ein sog. „sicherer Herkunftsstaat“ (vgl. § 29a AsylG i.V.m. Anlage II zum AsylG). Damit wird in aller Regel eine Ablehnung des Asylantrages als „offensichtlich unbegründet“ zu erwarten sein. Selbstverständlich muss das nicht immer so sein, selbstverständlich wird es auch Leute geben, die sehr wohl asylrechtlich relevante Tatsachen vorbringen können, und in diesen Fällen mag ein Asylantrag tatsächlich die einfachste und beste Möglichkeit sein, eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen. Aber das ist genau der Punkt, auf den ich hinaus möchte:

Stellt Asylanträge nur nach individueller, fachkundiger Beratung! Lasst nicht zu, dass ABHen Menschen zu aussichstlosen Asylanträgen drängen! Niemand muss einen Asylantrag stellen!

Der Ratsbeschluss

Damit stellt sich aber freilich unweigerlich die Frage: Wenn ein Asylantrag eher ausnahmsweise die Antwort sein kann, was ist es dann? Ich weiß es leider auch nicht. Auf jeden Fall sollte man sich den Ratsbeschluss der EU anschauen, denn auch dieser beschränkt sich ja gerade nicht auf ukrainische Staatsangehörige, sondern bezieht zumindest auch einen Teil der anderen Menschen mit ein.

Hierzu gibt gibt es ein Rundschreiben des Bundesministeriums des Innern und für Heimat vom 14.03.2022 unter dem Titel “ Umsetzung des Durchführungsbeschlusses des Rates zur Feststellung des Bestehens eines Massenzustroms im Sinne des Artikels 5 der Richtlinie 2001/55/EG und zur Einführung eines vorübergehenden Schutzes“. Dort heißt es:

Nach Artikel 2 Absatz 1 des Durchführungsbeschlusses gilt der vorübergehende Schutz für folgende Personen:
a) ukrainische Staatsangehörige, die vor dem 24. Februar 2022 ihren Aufenthalt in der Ukraine hatten,
b) Staatenlose und Staatsangehörige anderer Drittländer als der Ukraine, die vor dem 24. Februar 2022 in der Ukraine internationalen Schutz oder einen gleichwertigen nationalen Schutz genossen haben, und
c) Familienangehörige der unter den Buchstaben a und b genannten Personen

Es ist also vorrangig zu prüfen, ob Betroffene unter die Buchstaben b) und/oder c) fallen. In diesem Falle unterfallen sie selbst direkt dem Ratsbeschluss und können daher selbst eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 24 AufenthG beantragen, so wie auch die ukrainischen Staatsangehörigen selbst.

Zu b) Hierzu heißt es in dem Runschreiben weiter:

Gemeint ist der Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention oder ein mit dem subsidiären Schutz vergleichbarer Schutz sowie ein gleichwertiger nationaler Schutz. Die Vorlage eines ukrainischen Reiseausweises für Flüchtlinge oder Reisedokument über den komplementären Schutz („Travel Document for Person Granted Complementary Protection“) gilt als ausreichender Nachweis des Schutzstatus

Zu c) Das Rundschreiben stellt klar, dass auch die Familienangehörigen aus eigenem Recht eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 24 AufenthG beantragen dürfen. Es handelt sich gerade nicht um einen Fall des Familiennachzugs, so dass es auf die diversenden Voraussetzungen, die für einen Familiennachzug üblicherweise vorliegen müssen, hier gerade nicht ankommt. Wer ist nun aber hier gemeint mit Familienangehörigen? Dazu heißt es:

  • Ehegatt*innen, aber auch nicht verheiratete Partner*innen, wobei das Rundschreiben ausdrücklich darauf hinweist, dass dies auch für gleichgeschlechtliche Beziehungen gilt,
  • minderjährige ledige Kinder der oben unter a) und b) genannten Personen, „oder ihres Ehepartners, gleichgültig, ob es sich um ehelich oder außerehelich geborene oder adoptierte Kinder handelt“
  • „Enge Verwandte“, das sind Personen, die am 24.02.2022 innerhalb des Famlienverbunds gelebt haben und von einer unter a) oder b) genannten Person vollständig oder größtenteils abhängig gewesen ist. Man mag hier etwa an pflegebedürfte alte Menschen denken, aber auch, so steht es ausdrücklich im Rundschreiben, an Kinder, die am 24.02.2022 noch minderjährig waren, aber volljährig geworden sind, wenn sie den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis stellen.

Interessant ist hier insbesondere der 1. Punkt, denn er stellt sogar Menschen, die in der Ukraine verheiratet waren oder sogar eine nichteheliche Partnerschaft geführt haben, eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 24 AufenthG in Aussicht. Zur Definition der nichtehelichen Partnerschaft verweist das Rundschreiben auf die „Anwendungshinweise zur Umsetzung des Gesetzes zur aktuellen Anpassung des Freizügigkeitsgesetzes/ EU und weiterer Vorschriften an das Unionsrecht“ des BMI und dort auf Ziffer 3.1.5.3. Die Kriterien dort sind allerdings recht abstrakt formuliert und insofern nur mäßig hilfreich, weswegen ich es an dieser Stelle bei einer Verlinkung belasse. Das BMI begreift Beziehungen jedenfalls anscheinend noch als etwas Exklusives; polyamore Beziehungen beispielsweise sind also wohl eher nicht erfasst.

Das interessante an dieser Stelle ist halt: Wer glaubhaft machen kann, in der Ukraine in einer festen Beziehung gelebt zu haben, hat ggf. schon deswegen einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Es kann sich also in solchen Fällen anbieten, einen entsprechenden Antrag zu stellen. Freilich wird die ABH regelmäßig Nachweise verlangen, etwa, indem etwa Fotos, Chatverläufe, ähnliche Dinge vorgelegt werden.

Gilt das auch, wenn sich die*der Partner*in bzw. Ehegatt*in, die die ukranische Staatsangehörigkeit besitzt, bzw. dort als geflüchtete Person aufgenommen wurde (= unter a) und b) genannte Personen)? Auf der Website des Flüchtlingsrats Schleswig-Holstein ist noch eine „Vorfassung“ des Rundschreibens zu finden, dort heißt es:

Diese unter Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe c genannten Familienangehörigen erhalten eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG aus eigener Berechtigung aufgrund des Durchführungsbe
schlusses; dabei müssen die unter Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben a und b genannten Personen sich noch nicht im Bundesgebiet aufhalten. Es handelt sich um keinen Fall der Familienzusam-
menführung.

In der finalen Fassung wurde diese Stelle verändert, dort heißt es nur noch:

Diese unter Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe c genannten Familienangehörigen erhalten eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG aus eigener Berechtigung aufgrund des Durchführungsbeschlusses; es handelt sich um keinen Fall der Familienzusammenführung.

Das bedeutet allerdings nicht zwingend, dass die Anwesenheit der Partner*innen bzw. Ehegatt*innen aus der Ukraine in Deutschland erforderlich ist, um eine Aufenthaltserlaubnis zu beantragen. Letztlich wird der begünstigte Personenkreis ja durch den Ratsbeschluss vorgegeben, und nicht durch das Rundschreiben des BMI. Zweifelsfragen werden wohl früher oder später durch die zuständigen Gerichte zu klären sein. Aber immerhin kann man hier in geeignenten Fällen schon einmal ansetzen.

Ferner sieht Art. 2 Abs. 2 und 3 des Ratsbeschlusses vor, dass auch einige andere Personen Schutz (und damit dann auch eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 24 AufenthG) bekommen können; dies setzt doch jeweils voraus, dass die Personen „nicht sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückkehren können“. Es steht daher zu befürchten, dass die Bestimmungen in der Praxis weitgehend verpuffen werden, weil es vermutlich häufig nicht gelingen wird, diese Unmöglichkeit in einer Weise darzulegen, in der die ABHen sie auch abkaufen. Wie genau mit diesen Bestimmungen umgegangen wird, ist jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht so richtig klar, weswegen ich es an dieser Stelle auch dabei belasse, und ggf. später noch einmal in einem weiteren Blogbeitrag darauf zurückkommen werde. Jedenfalls bestünde hier für die Politik, insbesondere auch für die Bundesinnenministerin Frau Faeser, die Möglichkeit, noch nachzusteuern und auf eine wohlwollende und weite Interpretation des Beschlusses hinzuwirken.

Freizügigkeitsrecht

Ganz anders sieht es übrigens aus bei Menschen, die die Staatsangehörigkeit eines anderen EU-Staates besitzen. Diese brauchen grundsätzlich keine Aufenthaltserlaubnis zu beantragen, vielmehr sollte in diesen Fällen vorrangig versucht werden, mit dem EU-Freizügigkeitsrecht weiterzukommen. Auch dabei kann es zwar zu diversen Problemen kommen, insbesondere im Hinblick auf den Bezug von Sozialleistungen. Das ist allerdings kein „ukrainespezifisches“ Problem, weswegen ich es hier nicht weiter vertiefen werde.

Hamburg geht mit gutem Beispiel voran

Hoffnung macht diese Nachricht aus Hamburg, jedenfalls für die Gruppe der Studierenden: „Ukraine: Hamburg macht Studierenden aus Drittstaaten Zusage“ Dort meldet der NDR am 20.04.2022, dass Hamburg es Betroffenen ermöglichen möchte, ihr Studium dort fortzusetzen. Das klingt jedenfalls nach einem Schritt in die richtige Richtung, und es bleibt nur zu hoffen, dass andere Länder folgen werden, und dass der Bund hier auch entsprechend tätig wird, zumindest unterstützend.

Und die anderen?

Wie gesagt, ich weiß es leider auch nicht. Es gibt ein paar Dinge, die sind immer gut, insbesondere deutsch lernen, Zeugnisse etc. anerkennen lassen, etc. Ansonsten kann ich nur sagen: Abwarten, Tee trinken und nicht die Nerven verlieren: Und vor allem: Lasst euch nicht zu voreiligen Schritten drängen. Von niemandem. Erst recht nicht von der ABH.

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