Das nicht mehr ganz so neue Jahr beschert uns erste Entscheidungen zum sogenannten „Chancen-Aufenthaltsrecht“ (ChAR, § 104c AufenthG). Dabei geht es hauptsächlich um Fälle, in denen Ausländerbehörden mögliche Kandidat*innen für diese Regelung noch eben schnell vorher abschieben wollen. Die vorliegende Entscheidung ist dabei nicht nur deswegen interessant, weil sie derartigen Ansinnen einen Riegel vorschiebt, sondern ihre Lektüre ist zugleich eine mentale Wellnesskur, weil man dem Gericht deutlich anmerkt, wie angenervt man dort mittlerweile von der chronisch dysfunktionalen Ausländerbehörde Düsseldorf ist. Erstritten hat den Beschluss mein Padawan und angestellter Rechtsanwalt Christian Schotte.
Der Antragsteller lebt bereits seit 2015 gestattet bzw. geduldet in Deutschland. Am 11.01.2023 wurde ihm anstelle einer üblichen Duldungsbescheinigung ein sog. Terminschreiben für den 19.01.2023 mit dem Zusatz, dass sein Aufenthalt gemäß § 60b AufenthG geduldet werde, ausgehändigt. Am 12.01.2023 hat RA Schotte ein ChAR beantragt. Dem Antrag war auch ein Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung beigefügt, welches nach Auffassung der ABH jedoch nicht ausreichend gewesen sein soll. Da der Antragsteller nach nur acht Tagen erneut bei der ABH vorsprechen sollte, ging RA Schotte von einer drohenden Abschiebung aus und stelle am 16.01.2023 einen Antrag auf Erlass einer einsteiligen Anordnung beim VG Düsseldorf.
Das VG gab dem Antrag statt und las der ABH dabei gehörig die Leviten. Es bescheinigt der ABH, wahrheitswidrig vorgetragen zu haben, soweit die ABH behauptet hat, dass der Antragsteller den Termin am 19.01.2023 nicht wahrgenommen habe.
Die ABH könne sich auch nicht darauf berufen, dass der Antrag nicht zur Akte gelangt sei, denn es liege „im Organisationsbereich der Antragsgegnerin […] den […] Antrag aus ihrem E-Mail-Postfach herauszusuchen, um zu prüfen, ob dem Antrag die darin erwähnten Anlagen beigefügt waren“.
Ob das dem Antrag beigefügte Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung ausreicht, lässt das VG dahinstehen. Zum einen geht es davon aus, dass dieses Bekenntnis ohne Weiteres nachgeholt werden könne. Zum anderen aber weist das VG die ABH auch auf ihre verwaltungsrechtlichen Verpflichtungen hin: Weder habe sie den Sachverhalt ermittelt, noch sei sie ihrer Beratungspflicht (§ 25 Abs. 1 VwVfG NRW) nachgekommen. So habe die ABH den Antragsteller weder zur Abgabe des Bekenntnisses zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung aufgefordert, noch ihm mitgeteilt, auf welche Weise er das Bekenntnis abgeben könne. Trage die ABH jedoch selbst dazu bei, dass die Voraussetzungen für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis noch nicht vorliegen, indem sie die ihr obliegende Sachverhaltsaufklärung und Beratung unterlasse, sei zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes Abschiebungsschutz zu gewähren.
Für die generelle Beratungspraxis im Hinblick auf das ChAR dürften indes die Ausführungen des Gerichts zum Duldungsanspruch in diesem Zusammenhang von Bedeutung sein. Zwar löst ein Antrag auf Erteilung des Chancen-Aufenthaltsrechts keine Fiktionswirkung i.S.d. § 81 AufenthG aus. Allerdings sieht das VG einen Duldungsanspruch, wenn eine Abschiebung zum Verlust der „Rechtsposition“ führen würde, die § 104c AufenthG ihr*ihm einräume. Dabei komme es nicht darauf an, ob eine Duldungsbescheinigung tatsächlich erteilt werde oder ein Fall „faktischer Duldung“ vorliege, da eine Duldung von Amts wegen zu erteilen sei, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen, und es folglich nicht zulasten der Betroffenen gehen könne, wenn eine Behörde dieser Verpflichtung nicht nachkomme.
Über einen inhaltlich ähnlichen Beschluss des VG Dresden, den die Kollegin Carolin Helmecke, Dresden, erstritten hat, berichtet heute auch der HRRF-Newsletter.
VG Düsseldorf, Beschluss vom 25.01.2023, 8 L 119/23
„Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sichs gänzlich ungeniert“. Das fortgesetzte Organisationsversagen der Abh Düsseldorf bleibt gleichwohl folgenlos. Wäre die Abh ein Unternehmen, hätte sie längst Konkurs anmelden müssen. Eine Behörde kann sich hingegen alles erlauben und wird nur ab und an durch weise Richter vom Schlimmsten abgehalten. Für das Verwaltungshandeln im Ganzen bleibt das aber unerheblich. Die Behörde lernt eben nicht, sondern macht einfach weiter wie gehabt