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VG Düsseldorf zu Dublin: Anspruch auf Selbsteintritt bei Vorliegen der Voraussetzungen für Familienasyl

Das VG #Düsseldorf hat entschieden, dass Geflüchtete einen Anspruch auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO haben, wenn sie einen Anspruch auf Anerkennung nach den Bestimmungen über den Familienflüchtlingsschutz (§ 26 AsylG) haben.

Das Urteil betritt eine afghanische Familie, bestehend aus Mutter, Vater und einigen Kindern, teilweise volljährig, größtenteils noch minderjährig. Sie kamen nicht gemeinsam, sondern getrennt und aufgeteilt in mehrere Grüppchen in Deutschland an. Die Mutter und ein Teil der Kinder, um die es dann im vorliegenden Verfahren ging, landeten eher zufällig in Belgien und betrieben dort erfolglos ein Asylverfahren, bevor sie nach Deutschland kamen und hier einen weiteren Asylantrag stellte.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) war der Meinung, dass Belgien nach den Bestimmungen der Dublin-III-VO für die Prüfung des Asylantrages zuständig sei, da die Kläger*innen unstrittig von dort kamen. Es lehnte den Asylantrag daher gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG als unzulässig ab und ordnete gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG die Abschiebung nach Belgien an. Gegen den entsprechenden Bescheid wurde Klage erhoben.

Vater bzw. Ehemann und einige weitere Kinder hingegen kamen nicht über Belgien und für sie wurde das Asylverfahren in Deutschland durchgeführt. Ihnnen wurde der subsidiäre Schutzstatus (§ 4 AsylG) zuerkannt.

Das Gericht hat sich nun auf den Standpunkt gestellt, dass den Kläger*innen ein Anspruch auf Ausübung des sogenannten Selbsteintrittsrechts zustehe. Das entsprechende Ermessen des BAMF sei reduziert, da Ehemann bzw. Vater und einige Geschwister in Deutschland als subsidiär schutzberechtigt anerkannt seien und auch die weiteren Voraussetzungen des § 26 AsylG vorlägen.

Dabei bezieht sich das Gericht auf das Urteil des BVerwG vom 17.11.2020, 1 C 8/19. Dieses Urteil betrifft allerdings eine etwas andere Fallgestaltung. Dort geht es um die sog. Anerkannten- oder Drittstaatenfälle, also um Personen, denen bereits in einem anderen Mitgliedstaat der EU internationaler Schutz (also die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention oder der subsidiäre Schutzstatus) zuerkannt wurde. Wenn solche Personen in Deutschland einen weiteren Asylantrag stellen, ist auch dieser Asylantrag nach dem Gesetz unzulässig, allerdings nicht gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, wie im Dublin-Verfahren, sondern gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG. Für diese Fälle, wenn also bereits ein Schutzstatus in einem anderen Mitgliedstaat vorliegt, hatte das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) eben entschieden, dass die Regelungen über den Familienflüchtlingsschutz gem. § 26 AsylG Vorrang haben sollen vor der Unzulässigkeitsentscheidung.

Das VG Düsseldorf ist nun aber der Auffassung, dass sich die Begründung jener Entscheidung des BVerwG sinngemäß auch auf die hier vorliegende Konstellation eines Dublin-Verfahrens übertragen lasse. Der Unterschied ist eben, dass den Kläger*innen dieses Verfahrens noch kein Schutzstatus in einem anderen Mitgliedstaat zuerkannt worden ist. Ihr früherer Asylantrag in Belgien wurde eben abgelehnt.

Nun ist es eben so, dass die Dublin-III-VO in ihren Artikeln 9, 10 und 11 (und vielleicht noch 16) selbst Regelungen zur Wahrung bzw. Wiederherstellung der Familieneinheit enthält. Man könnte sich also auf den Standpunkt stellen wollen, dass diese Regelungen Fragen der Familieneinheit im Dublin-Verfahren abschließend regeln: Familien hätten dann eben nur einen Anspruch darauf, zusammenzubleiben bzw. wieder zusammengebracht zu werden, wenn diese Bestimmungen dies ermöglichen. Wenn keine dieser Regelungen passen würde, hätten Familien also Pech gehabt. Für eine Anwendung des § 26 AsylG wäre dann kein Raum mehr.

Dies sieht das Gericht jedoch ausdrücklich anders:

Es spricht jedoch nichts dafür, dass die Anwendung der Zuständigkeitsregeln der Dublin III-VO zugleich die Gewährung oder Nichtgewährung von Familienschutz determinieren sollte.

Zum einen würde die Gewährung von Familienschutz dann oft von Zufälligkeiten des Flucht- und Verfahrensverlaufs abhängen.

[…]

Zum anderen ist in Rechnung zu stellen, dass das Familienasyl bzw. der Familienschutz ein Institut des deutschen Asylrechts ist, das der Dublin III-VO fremd ist. Gegenstand eines Asylverfahrens in einem anderen Mitgliedstaat ist der eigene Anspruch des Ausländers auf Gewährung internationalen Schutzes, nicht ein abgeleiteter Anspruch auf Familienasyl bzw. Familienschutz.

Das Urteil mit vollständiger, ausführlicher Begründung kann hier abgerufen werden. Es ist rechtskräftig.

VG Düsseldorf, Urteil vom 29.07.2022, 13 K 2779/21.A