Schlagwort-Archive: Strafprozessrecht

Einspruch gegen Strafbefehl ohne Unterschrift?

Heute stand bei mir unter anderem mal wieder ein Ausflug ins Strafrecht auf dem Programm. Der Fall schien soweit eindeutig, einfacher Sachverhalt, klare Beweislage, keine besonderen rechtlichen Probleme. Die Mandantin erhielt einen Strafbefehl „wegen Betruges geringwertiger Sachen“. Diese Formulierung ist bereits eher ein Griff ins Klo, ohne dass das rechtlich relevant wäre. Denn Betrug ist ein Vermögensdelikt, kein Eigentumsdelikt. Es geht dort nicht darum, dass ich einer anderen Person eine konkrete Sache entwende, die dann „geringwertig“ sein kann, sondern es geht darum, dass ich eine andere Person „durch Vorspiegelung falscher […] Tatsachen“ (§ 263 StGB) dazu bringe, sozusagen sich selbst zu schaden. Sachen, ganz gleich, ob geringwertig, oder nicht, stellen also kein geeignetes Tatobjekt eines Betruges dar: Sachen kann man nicht betrügen, denn man kann ihnen nix vorspiegeln.

Rechtlich interessanter wurde es dann weiter hinten in der Akte. Die Mandantin hatte mir bereits mitgeteilt, dass sie selbst Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt habe. Das hatte sie auch tatsächlich, allerdings, ohne den Einspruch handschriftlich zu unterschreiben. Es stand lediglich maschinenschriftlich ihr Name darunter.

Der Richter am Amtsgericht übersandte die Akte daraufhin der Staatsanwaltschaft mit dem Vermerk: „Einspruchsverwerfung mangels Unterschrift?“. Für die Staatsanwaltschaft antwortete ein Oberamtsanwalt, derselbe, der auch den Strafbefehl verfasst hat. Er wies auf den Beschluss des BGH vom 26.01.2000 – Az.: 3 StR 588/99 – hin. Dieser Beschluss betraf die Rücknahme einer Revision. Dazu hat der BGH ausgeführt:

Die handschriflichte Unterzeichnung des eigenhändig geschriebenen Schriftstücks ist kein wesentliches Erfordernis der Schriftlichkeit. Für die Einhaltung der Schriftform ist es vielmehr ausreichend, dass der Angeklagte als der Urheber des Schreibens zweifelsfrei erkennbar ist […].

Mit dem Hinweis auf diese Entscheidung hat die Staatsanwaltschaft beantragt, einen Termin zur Hauptverhandlung zu bestimmen, und genauso hat das Amtsgericht es dann auch gemacht.

Fazit: Offenbar sehen Gericht und Staatsanwaltschaft den Einspruch trotz der fehlenden Unterschrift in diesem Falle als zulässig an. Es dürfte trotzdem ratsam sein, Einsprüche gegen Strafbefehle – wie auch alle anderen „verbindlichen“ Schreiben an Gerichte und Behörden – eigenhändig zu unterschreiben um Probleme dieser Art von vorne herein auszuschließen.

Selbstverständliches vom BGH: Verteidigergespräche müssen gelöscht werden!

Der BGH hat heute eine Pressemitteilung veröffentlicht, in der er klarstellt, dass Ermittlungsbehörden Aufzeichnungen von Telefongesprächen zwischen einer/einem Beschuldigten und ihrer/seiner VerteidigerIn auch dann zu löschen haben, wenn letztereR die/den (spätereN) MandantIn anruft, und nicht etwa umgekehrt, und ebenso, wenn die tatsächliche Mandatsübernahme erst später erfolgt. Denn, so der BGH in seinem Beschluss,

das berufsbezogene Vertrauensverhältnis, das zu schützen § 53 StPO beabsichtigt […], beginnt nicht erst mit Abschluss des zivilrechtlichen Geschäftsbesorgungsvertrages, sondern umfasst auch das entsprechende Anbahnungsverhältnis […]. Ein Beschuldigter, der auf der Suche nach einem Verteidiger ist, bringt jedem Rechtsanwalt, mit dem er zu diesem Zweck kommuniziert, typischerweise das Vertrauen entgegen, dass der Inhalt dieser Gespräche vertraulich behandelt wird, unabhängig davon, ob anschließend ein Verteidigungsverhältnis zustande kommt […]. Damit besteht bereits zu diesem Zeitpunkt die Sonderbeziehung, die von einer vornehmlich zu § 203 StGB vertretenen [ …] Ansicht über den funktionalen Zusammenhang mit der Berufsausübung hinaus verlangt wird.

So weit, so selbstverständlich. Sollte man jedenfalls meinen. Ist es dann aber anscheinend doch nicht. Denn offensichtlich hatte zuvor bereits ein Ermittlungsrichter des BGH ebenso entschieden, und nachdem der Generalbundesanwalt dann eine sogenannte sofortige Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt hat, erging der hier zitierte Beschluss. Und dies erscheint mir bald das einzig Bemerkenswerte an dem Beschluss zu sein: Wie kann es sein, dass der Generalbundesanwalt, mithin eine Behörde, die im Idealfalle ihrem gesetzlichen Auftrag entsprechend die Rechtsordnung mehr schützt als in Frage stellt, offenbar darauf besteht, Mitschnitte der Telefonate von Beschuldigten und ihren (späteren) VerteidigerInnen speichern zu dürfen?

P.S.: Was dabei überhaupt von den Überwachungsmaßnahmen an sich zu halten ist, sei dabei mal dahingestellt, weil es gerade in diesem Falle nicht das Thema ist.

ED-Behandlungen zum Zwecke der Strafverfolgung

Zwar zähle ich Strafverteidigung nicht gerade zu den Schwerpunkten meiner anwaltlichen Tätigkeit, „aus Gründen“ bildet sie jedoch dennoch einen festen und tendenziell auch irgendwie steigenden Anteil derselben. So begab es sich vor wenigen Monaten, dass eine Gruppe junger Leute mein Büro aufsuchte, denen Landfriedensbruch (§ 125 StGB) vorgeworfen wird. Die Kripo hatte die erkennungsdienstliche Behandlung eines Teils von ihnen angeordnet. ED-Behandlungen zum Zwecke der Strafverfolgung weiterlesen

Big brother is hearing you: Geschichten von Gerichten

Die letzten Wochen des Jahre 2011 bescherten (um es mal jahreszeitgemäß auszudrücken) uns gleich zwei Entscheidungen zu der Verwertung von Beweismitteln, die durch das Belauschen der Beschuldigten erlangt wurden, in Strafverfahren. Während sich der Bundesgerichtshof am 22.12.2011 mit der Verwertbarkeit belauschter Selbstgespräche befasste, hatte das Bundesverfassungsgericht bereits am 07.12.2011 über die „Verwertbarkeit rechtswidrig erhobener personenbezogener Informationen“ entschieden.

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In dubio pro rege

Gäbe es Aktien des Rechtsstaats, ich würde gewiss eine große Packung davon kaufen, sobald irgendwo Ermittlungen gegen einen „Promi“ wegen eines Sexualdelikts eingeleitet würden, denn selten hat der Rechtsstaat quer durch alle gesellschaftliche Schichten und politische Lager so viele Freund_innen wie nach dem Scheitern eines solchen Verfahrens. Freilich dürfte ich dann nur nicht vergessen, die Aktien wieder zu verkaufen, bevor wieder ein_e Pädophile_r angeklagt wird.

So wird denn auch die heute erfolgte Einstellung des Verfahrens gegen „DSK“ aka Dominique Strauss-Kahn von ganz Deutschland als Triumph des guten, alten „In dubio pro reo“-Grundsatzes und damit eben der Rechtsstaatlichkeit gefeiert. Ganz? Nein, nicht ganz. Ein paar gallische Dörfer gibt es dann doch noch, und eines davon ist das Blog der „Mädchenmannschaft“.

Wie verhält es sich nun also mit den Zweifeln und den Angeklagten? Muss man sich damit abfinden, dass Frauen, die irgendwann mal gelogen haben, straflos vergewaltigt werden können, weil der Rechtsstaat keine andere Möglichkeit bietet? Bleibt also kein Raum für eine feministische Kritik?

Nein, so einfach ist es dann glücklicherweise doch nicht. Gehen wir einmal vom deutschen Strafprozessrecht aus – in dem Wissen, dass das US-amerikanische Strafprozessrecht sich grundlegend von dem hiesigen unterscheidet und die US-Amerikaner_innen auch keine Belehrungen über Rechtsstaatlichkeit aus Deutschland nötig haben:

Hier hilft ein Blick in die StPO, genauer in deren § 261:

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

Dann lässt sich Folgendes feststellen:

1. Wer entscheidet?

Das Gericht – nicht: Die Staatsanwaltschaft. Die Berichterstattung der hiesigen Medien erweckt den Eindruck, Staatsanwalt Cyrus Vance habe die Einstellung beantragt, um seine Karriere nicht zu gefährden. Ob das stimmt, vermag ich nicht zu beurteilen. Es fällt aber zumindest auf, dass hier überhaupt die Person des Staatsanwalts als solche in den Fokus des Medien gerät. Dies erscheint bereits ein wenig ungewöhnlich, wenn man deutsche Verhältnisse gewohnt ist – wer erinnert sich schon daran, von wem die Anklage gegen Kachelmann oder wem auch immer vertreten worden ist? Deutsche Staatsanwaltschaften erscheinen doch eher als gesichtslose Justizverwaltungsbehörden. Sitzungsvertreter_innen deutscher Staatsanwaltschaften stehen ihren Verfahren in der Regel eher leidenschaftslos gegenüber, was offensichtlich kein Nachteil sein muss. Jedenfalls werden sie selten die Befürchtung haben, dass ihre Karriere einen Nachteil erleiden könnte, wenn sie mit einer Anklage vor Gericht baden gehen. Daher spielen derartige strategische Überlegungen hierzulande eher selten eine Rolle.

Und wenn es denn eben tatsächlich so sein sollte, wie es in den hiesigen Medien dargestellt wird, dass das Verfahren der Karriere eines Staatsanwalts geopfert worden sein sollte – dann mag man das aus Sicht des Staatsanwalts zwar irgendwie „nachvollziehbar“ finden, ein Triumph der Rechtsstaatlichkeit wäre dies aber wohl kaum.

2. Der Inbegriff der Verhandlung

Entschieden wird aus einer Überzeugung – dazu siehe unten 3. -, die wiederum aus dem „Inbegriff der Verhandlung“ zu schöpfen ist.

Und hier liegt ein sehr augenfälliger Unterschied zum Kachelmann-Prozess: Hier ist verhandelt worden, und das Gericht hat sich, so wird man wohl annehmen dürfen, durchaus ernsthaft um eine Aufklärung des Verfahrens bemüht. Wenn es dann, nach der Beweisaufnahme, immer noch Zweifel an der Schuld des Angeklagten hat, dann ist es in der Tat zumindest folgerichtig, den Angeklagten freizusprechen.

Hier scheint es aber ja gar nicht so weit gekommen zu sein. Auch dies erscheint, gemessen an hiesigen Maßstäben, durchaus befremdlich. Zwar hat das Gericht offenbar der Einstellung des Verfahrens zugestimmt. Doch wie hat es sich überhaupt eine Meinung über die Glaubwürdigkeit der Zeugin gebildet? Nur durch die Lektüre der New York Times?

3. Die freie Überzeugung

Die Betonung liegt dabei auf „frei“. Ob eine Zeugin glaubwürdig und ihre Aussage glaubhaft ist, entscheidet das Gericht, und sonst niemand. Nicht die Staatsanwaltschaft. Auch nicht das Heer von psychologischen Gutachter_innen, das als Sachverständige die Glaubwürdigkeit der Zeugin beurteilen soll. Sondern das Gericht.

Deswegen ist es auch falsch, zu glauben, dass in Fällen, in denen es „Aussage gegen Aussage“ steht, nur einen Freispruch geben kann. Dem Gericht steht es eben frei, die eine Aussauge glaubhafter zu finden, als die andere. Und sollte es die belastendere Aussage für glaubhafter halten, kann es auch verurteilen. Der „In dubio pro reo“-Grundsatz kommt überhaupt erst zum Tragen, wenn das Gericht es eben nicht schafft, sich eine „freie Überzeugung“ zu bilden.

Gerade diese Freiheit ist der springende Punkt und auch der richtige Ansatz für eine feministische Kritik am Umgang von Strafgerichten mit Sexualdelikten. Und das wird man wohl auch auf die USA übertragen können, denn eine Jury aus juristischen Laien wird bei der Beurteilung des Ergebnisses der Wahrheitsfindung wohl eher noch freier sein, als eine mehrheitlich aus Berufsrichter_innen bestehende Strafkammer.

Die Frage, wie diese Freiheit ausgelebt wird, ist letztlich nämlich keine juristische.  Sie ist eine tatsächliche Frage, wie sich ja eben gerade an besagtem Sachverständigenheer zeigt, welches regelmäßig ja gerade eben nicht aus Jurist_innen besteht.

Und es hat mit dem „In dubio pro reo“-Grundsatz eben überhaupt nichts zu tun, wenn man die Maßstäbe, anhand derer die Glaubwürdigkeit einer Zeugin beurteilt wird, kritisiert. Denn diese Maßstäbe sind das Produkt gesellschaftlicher Verhältnisse. Eine Gesellschaft, die annimmt, dass Frauen normalerweise keine Vergewaltigungen erfinden, außer vielleicht aus der konkreten und nachvollziehbaren Angst vor einer Abschiebung, wird, wenn eine Frau sodann behauptet, vergewaltigt worden zu sein, eher dazu neigen, ihr dies zu glauben, als eine, die mächtige und erfolgreiche Männer per se für unwiderstehlich hält.

Fazit

Ob der Beschluss des Gerichts dem US-Recht entspricht, oder nicht, weiß ich nicht, es tut auch nichts zur Sache. Es ist jedenfalls falsch zu glauben, dass rechtsstaatliche Grundsätze von vorne herein jede andere Möglichkeit ausschließen. Wahrheitsfindung im Strafverfahren ist ein Prozess, der immer vor dem Hintergrund bestehender gesellschaftlicher Verhältnisse stattfindet und von diesen beeinflusst wird. Wer wissen möchte, wie das funktioniert und zu welchen kruden Ergebnissen das führen kann, mag sich die Homosexuellen-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Gemüte führen. Zugegeben, hierbei handelt es sich allenfalls im weitesten Sinne um ein Strafverfahren, es zeigt aber dennoch, wie eine „prozessuale Wahrheit“ als Ergebnis auch abstruser Ansichten zustande kommt und diese gleichsam reproduzieren. Und deswegen ist es auch nicht nur legitim, sondern sogar notwendig, diesen Prozess der Wahrheitsfindung zu analysieren und dort, wo Anlass dazu besteht, zu kritisieren.

Und dafür an dieser Stelle der Mädchenmannschaft noch mal meinen ausdrücklichen Dank.

EU will Beschuldigtenrechte stärken

Spätestens seit der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung ist klar, dass EU-Richtlinien nicht immer eine Verbesserung der Bürger_innenrechte bedeuten. Wie die EU-Kommission jedoch nunmehr in einer Pressemitteilung ankündigt, plant sie eine Stärkung der Rechte der Beschuldigten in Strafverfahren, die durchaus zu begrüßen wäre.

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